Verbotene Bücher

Beteiligung an der Ausstellung im Museum Strauhof, Zürich, 2. März bis 21. Mai 2023

 
 
 

Zum 90. Jahrestag der Bücherverbrennungen im Mai 1933 in Deutschland

Als am 10. Mai 1933 in den wichtigsten Universitätsstädten Deutschlands die den nationalsozialistischen Studentenverbänden angehörenden Studierenden mit der breitwilligen Beihilfe zahlreicher «erz» – national gesinnter Hochschuldozenten, von denen wohl viele «ihre Stunde» endlich für gekommen hielten, die Bücher der namhaftesten deutschen Autoren unter markigen Reden in die Feuer warfen, hatte der «Auszug des Geistes», von welchem später gesprochen wurde, und damit der Beginn der Epoche deutscher Literatur im Exil längst seinen Anfang genommen. So waren an den verschiedenen Orten nur wenige Autoren bei der Verbrennung ihrer eigenen Werke zugegen. Erich Kästner hat das beschämende Schauspiel auf dem Opernplatz in Berlin «Bei der Verbrennung meiner Bücher» später eindrücklich beschrieben.

«Diese Unehre habe ich nicht verdient» schreibt dagegen Oskar Maria Graf nur Tage später, am 12. Mai in einem «offenen Brief» in dem er u.a. festhält:

«Wie fast alle linksgerichteten, entschieden sozialistischen Geistigen in Deutschland habe auch ich etliche Segnungen des neuen Regimes zu spüren bekommen: Während meiner zufälligen Abwesenheit aus München erschien die Polizei in meiner dortigen Wohnung um mich zu verhaften. Sie beschlagnahmten einen grossen Teil unwiederbringlicher Manuskripte, mühsam zusammengetragenes Quellenstudienmaterial, meine sämtlichen Geschäftspapiere und einen grossen Teil meiner Bücher. Das alles harrt nun der wahrscheinlichen Verbrennung. Ich habe also mein Heim, meine Arbeit und – was vielleicht am schlimmsten ist – die heimatliche Erde verlassen müssen, um dem Konzentrationslager zu entgehen».

Die schönste Überraschung aber ist mir erst jetzt zuteil geworden: Laut «Berliner Börsencourier» stehe ich auf der «weissen Autorenliste» des neuen Deutschlands und alle meine Bücher, mit Ausnahme meines Hauptwerkes «Wir sind Gefangene», werden empfohlen. Ich bin also dazu berufen, einer der Exponenten des «neuen» deutschen Geistes zu sein!

Vergebens frage ich mich: Womit habe ich diese Schmach verdient?

Das Dritte Reich hat fast das ganze deutsche Schrifttum von Bedeutung ausgestossen, hat sich losgesagt von der wirklichen deutschen Dichtung, hat die grösste Zahl ihrer wesentlichsten Schriftsteller ins Exil gejagt und das Erscheinen ihrer Werke in Deutschland unmöglich gemacht. Die Ahnungslosigkeit einiger wichtigtuerischer Konjunkturschreiber und der hemmungslose Vandalismus der augenblicklich herrschenden Gewalthaber versuchen all das, was von unserer Dichtung und Kunst Weltgeltung hat, auszurotten und den Begriff «deutsch» durch engstirnigsten Nationalismus zu ersetzen. Ein Nationalismus, auf dessen Eingebung selbst die geringsten freiheitliche Regung unterdrückt wird, ein Nationalismus, auf dessen Befehl alle meine aufrechten sozialistischen Freunde verfolgt, eingekerkert, ermordet oder aus Verzweiflung in den Freitod getrieben werden.

Und die Vertreter dieses barbarischen Nationalismus, der mit Deutschsein nichts, aber auch rein gar nichts zu tun hat, unterstehen sich, mich als einen ihrer «Geistigen» zu beanspruchen, mich auf ihre sogenannte «weisse Liste» zu setzen, die vor dem Weltgewissen nur eine schwarze Liste sein kann! Diese Unehre habe ich nicht verdient!

Nach meinem ganzen Leben und nach meinem ganzen Schreiben habe ich das Recht, zu verlangen, dass meine Bücher der reinen Flamme des Scheiterhaufens überantwortet werden und nicht in die blutigen Hände und die verdorbenen Hirnen der braunen Mordbanden gelangen.

«Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie Eure Schmach!»

Diese Unehre habe er nicht verdient schreibt Graf, als er in der Folge der Bücherverbrennungen des 10. Mai 1933 nicht nur feststellen musste, dass seine Werke nicht nur nicht verbrannt oder zumindest in die am 13. Mai 1933 im «Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel» publizierte (erste) Liste der unerwünschten Autoren aufgenommen worden war, eine Liste mit zwölf Autoren, deren Werk dem deutschen Volke nicht mehr zugemutet werden könne: Lion Feuchtwanger – Ernst Glaeser (der einzige, der 1939 aus dem Exil in der Schweiz nach Deutschland zurückkehrte) – Arthur Holitscher (heute beinahe vergessen, 1941 im Exil in Genf verstorben) – Alfred Kerr – Egon Erwin Kisch – Emil Ludwig (der damals bereits seit Jahren in Moscia bei Ascona lebte) – Heinrich Mann – Ernst Ottwalt (der wie mach andere Emigranten später in der Sowjetunion umgebracht wurde) – Theodor Plivier – Erich Maria Remarque – Kurt Tucholsky – Arnold Zweig.

Einige dieser und andere Autoren mehr erschienen namentlich in einer Anweisung welche den bereits «gleichgeschalteten» deutschen Studentenverbände noch am 9. Mai mit jenen «Feuersprüchen» zugestellt wurden, mit welchen die Bücher in die Flammen geworfen werden sollten: (Karl) Marx und (Karl) Kautsky, H(einrich) Mann, Ernst Glaeser, E(rich) Kästner, F(riedrich) W(ilhelm) Förster (der Jahre später wie der Emigrant Thomas Mann, seine letzte Ruhestätte in Kilchberg finden sollte), Freud‘sche Schule, Zeitschrift Imago, Emil Ludwig, Werner Hegemann, Theodor Wolff, Georg Bernhard, Erich Maria Remarque, Alfred Kerr, (Kurt) Tucholsky und (Carl von) Ossietzky.

Noch gehörte ein gewisses Mass an Prophetie zu den Vorstellungen von Oskar Maria Graf. Aber die ersten Schriftsteller und Künstler hatten das «neue» Reich bereits fluchtartig verlassen, einige wie Carl von Ossietzky waren eingekerkert, andere wie Theodor Lessing, Felix Fechenbach, Erich Mühsam wurden in den ersten Monaten  bereits im Exil in Marienbad wie Theodor Lessing, «auf der Flucht», wie Felix Fechenbach oder im Konzentrationslager wie Erich Mühsam ermordet, viele würden, noch Jahre über das Kriegsende 12 Jahre später hinaus aus Verzweiflung selbst «Hand an sich legen» – welchen Titel Jean Améry (Hans Maier) seinem Essay zu diesem Thema gab – wie der heute nahezu vergessene Ludwig Fulda (im nationalsozialistisch gewordenen Deutschland), Ernst Toller (im Exil in den USA 1938), Egon Friedell, der sich beim beim Einmarsch der Nazis in Wien aus dem Fenster stürzt, Walter Benjamin (auf der Flucht an der spanischen Grenze, aus Furcht nach Frankreich zurückgeschickt zu werden, Ernst Weiss beim Einmarsch der Nazis in Paris), Stefan Zweig (im Exil in Brasilien 1942), Klaus Mann (nach dem Ende des Krieges und der Rückkehr nach Europa in Cannes 1949). «Der beste Jahrgang deutscher Reben, liess vor der Ernte so sein Leben» wie der Emigrant Walter Mehring in einem seiner «12 Briefe aus der Mitternacht» zu diesem Umstand der Selbsttötung seiner zahlreichen Freunde und Weggenossen festhielt.

Andere wie etwa Heinrich Mann hatten, nach seinem erzwungenen Rücktritt als Präsident der Sektion für Dichtkunst der Preussischen Akademie das «Dritte Reich» schon am Tage nach dem Reichstagsbrand am 28./29. Februar 1933 fluchtartig verlassen – «sofortige Abreise» notierte er dazu lakonisch in seinem Kalender, andere wie Bruder Thomas befanden sich im Ausland und sollten über die 12 Jahre der Diktatur, des Unrechtsregimes hinaus nicht nach Deutschland zurückkehren. (Dass Thomas Mann – als er 1949 eingeladen aus Anlass des 200. Geburtstages Goethes im «geteilten» Deutschland bewusst Frankfurt und Weimar besuchte, trug ihm nach Jahren der Emigration zunächst in der Schweiz, später in den USA – zusätzlich einiges an «Unverständnis» ein.)

Die Folgen des Kulturverlustes waren unabsehbar und betreffen uns bis heute. Nur wenigen Exilierten gelang es, wie etwa Thomas Mann, dank Helfern (wie u.a. seinen Kindern und seiner – ungeliebten – Sekretärin und Bibliothekarin Ida Herz), seine Bibliothek aus Deutschland zunächst in die Schweiz zu «retten» (später nach Amerika und wieder zurück zu transferieren – wo sie heute im Thomas Mann Archiv der ETH Zürich bewahrt wird) – oder wie Lion Feuchtwanger – auch dank ausreichender finanzieller Mittel – über welche die wenigsten Emigranten verfügten – zunächst im südfranzösischen Sanary später in Amerika seine bemerkenswerten Buchbestände zwei Mal wieder «aufzubauen». Andere wie etwa Walter Mehring behalfen sich schreibenderweise überaus eindrücklich sich der Bestände ihrer «Verlorenen Bibliothek» zu vergewissern. Wieder andere – wie z.B. Arthur Holitscher konnten zwar ihren «Hausstand» und damit ihre Bücher – zumindest teilweise – in die Emigration mitnehmen, nach Ihrem wie im Falle Holitschers oft «einsamen» Tod im Exil wurden deren Bibliotheken oder Teile davon im besten Fall von einem Antiquar übernommen und zugunsten eines oft «überschuldeten» Nachlasses verkauft.

Dass einigen – zumeist weniger bekannten – und heute oft weitgehend vergessenen Schriftstellern – Paul Kornfeld, Arthur Silbergleit, Ernst Blass – der Weg ins Exil – aus welchen Gründen auch immer – verwehrt war, oder sie wie Camill Hofmann oder Georg Hermann (Borchardt) in ihren von den Deutschen besetzten Exilländern den Häschern in die Hände fielen und in den Vernichtungslagern umgebracht wurden ist ebenso teil dieser Geschichte, die in den inzwischen neunzig Jahre zurückliegenden Bücherverbrennungen vom Mai 1933 wenn nicht ihren Anfang, so doch wesentlichen Ursprung hatten.

Der Schriftsteller und Publizist Karl Otten, der mit dem Buch «Torquemadas Schatten» neben Arthur Koestler und Alfred Kantorowicz eines der wichtigsten literarischen Zeugnisse dieser Zeit über den Spanischen Bürgerkrieg geschrieben hat, überlieferte als Erster die Schriften der Dichter*in Gertrud Kolmar, Paul Kornfeld, Ernst Blass, Arno Nadel (einem der bedeutendsten Lyriker deutscher Sprache vor 1933). Ebenso rettete Otten die Gedichte des Kulturattachés bei der Tschechischen Botschaft in Berlin Camill Hofmann, der neben eigener Lyrik vor allem die bekannten Gespräche Karel Capek's mit Thomas Garrigue Masaryk (dem Tschechischen Staatspräsidenten der Zwischenkriegszeit) ins deutsche und  Werke von Stefan Zweig und anderer Autoren in die tschechische Sprache übersetzte. Sie alle kamen mit vielen andern ums Leben.

«Verbrennt die Werke des deutschen Geistes! Er selber wird unauslöschlich sein wie Eure Schmach!»


Das verbannte Wort

Artikel im Magazin «Ursula», Ausgabe 8, 19. Mai 2023

Ursula ist die Kunstzeitschrift von Hauser & Wirth. Das Heft publiziert Essays, Porträts, Filmrezensionen, Interviews, Portfolios und Fotografien der bedeutendsten SchriftstellerInnen und KünstlerInnen der Welt.
Für die regelmäßige Kolumne «The Keepers», in der es um die Obsessionen des Sammelns geht, sprechen Alexander Scrimgeour und Michaela Unterdörfer vom Hauser & Wirth Verlag mit dem Büchersammler Martin Dreyfus über seine Sammlung historisch verbotener Literatur.