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Vom Zufall des Gelesenen hängt es ab, was du bist.
— Elias Canetti
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Die Sammlung

Seit den Jahren 1967/68 hat Martin Dreyfus eine Sammlung von Büchern vorwiegend in Erst- bzw. Originalausgaben aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einem Schwerpunkt auf der Literatur der Emigration der Jahre nach 1933 und von jüdischen Schriftstellerinnen und Schriftstellern zusammengetragen .

Die Sammlung umfasst heute neben rund 300 Autographen und einigen Dutzend signierter Bücher und Widmungsexemplare (teilweise an den Sammler) gut 35’000 Werke.


Diese Sammlung, deren «Wert» sich weniger in «einzelnen» (zweifellos und durchaus auch vorhandenen) seltenen «Einzelstücken» bzw. «Widmungsexemplaren», sondern im bzw. durch ihren sich über weite Teile aufeinander «beziehenden» Aufbau «bemisst», sucht als Ganzes oder in (sinnvollen) Teilen einen neuen Standort, einen Verbleib und eine Trägerschaft/Institution für die kommenden Jahre/Jahrzehnte und künftige Interessentinnen und Interessenten.

 
 

Die im Folgenden kurz beschriebene Sammlung umfasst folgende Schwerpunkte:


Exil bzw. Literatur der Emigration nach 1933

Kernstück der Sammlung ist der (schweizweit wohl einzigartige) Bestand an Originalausgaben von Literatur aus der Zeit der «europäischen» Emigration der Jahre unter dem Nationalsozialismus nach 1933. Darunter befinden sich:

(Teil-) Nachlässe

Die Sammlung enthält kleinere Teile der Nachlassbibliotheken der beiden Zürcher Theaterdirektoren Kurt Hirschfeld und Leopold Lindtberg sowie (einen grossen Teil) der Nachlassbibliothek des Zürcher Neurologen Erich und dessen Frau Netti(e) Katzenstein-Gerstle (Netti Sutro) mit zahlreichen Widmungsexemplaren sowohl an die beiden Theaterdirektoren, vor allem aber aus dem Freundeskreis von Nettie und Erich Katzenstein (u.a. Thomas Mann, Ernst Toller uvam.). Zusätzlich u.a. ein kleinen Teilnachlass des Emigranten und Komponisten Robert Gilbert (u.a. My Fair Lady)und des Publizisten Sebastian Hafner.

Jüdische Buchverlage

Einen weiteren Schwerpunkt bilden vor der Jahrhundertwende bis in die bzw. vor allem in den Jahren 1933 und 1938 in «jüdischen Buchverlagen» in Deutschland und Österreich erschienene Publikationen.

Deutsche Literatur

Ausserdem enthält die Sammlung eine Vielzahl sowohl von Vor- wie von Nachkriegspublikationen von in den 1930er Jahren emigrierter, jüdischer wie nichtjüdischer Schriftstellerinnen und Schriftsteller (überwiegend in deutscher Sprache).

Verlagsproduktionen

Kleinere Sammlungsschwerpunkte widmen sich den Produktionen verschiedener (deutscher und Schweizer) Verlage (der Vor- bzw. «Zwischenkriegszeit»), wie Kurt Wolff, Weissbach, Carl Reissner, Erich Reiss, Rascher, Rhein-Verlag, Georg Müller, Insel, Albert Züst, (G.) Kiepenheuer, Bruno Cassirer, Paul Cassirer. Dieser Teil der Sammlung enthält auch einige Kunstpublikationen aus diesen Verlagen.

Zeitschriften

Darüber hinaus sind recht umfangreiche Bestände der Zeitschriften «Weltbühne» und «Neue Weltbühne» (S. Jacobsohn, Kurt Tucholsky, Carl von Ossietzky); «Das Tagebuch» (Stefan Grossmann, Leopold Schwarzschild) und «Das neue Tagebuch» und «Die Fackel» (Karl Kraus) aus der Zeit der Weimarer Republik und des Exils enthalten. Aus der Emigration sind die Zeitschriften «Maas und Wert» (Oprecht/Europa, Zürich), «Die Sammlung» (Klaus Mann, Amsterdam), «Das Wort» (Lion Feuchtwanger, Bert Brecht u.a., Moskau), und zahlreiche Einzelhefte verschiedener weiterer Exilzeitschriften vorhanden. Zu Bestand gehören zudem «Die Kreatur» (Buber/Wittig/Weizsäcker), Merkur (Jahrgänge bis 1950 ff), Die Wandlung, Akzente (frühe Jahrgänge) und weitere. An bibliophilen Zeitschriften sind u.a. Genius, Hyperion und u.a.m. vorhanden.

Zeitgeschichte

«Parallel» zur deutsch(sprachig)en Literatur der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts besteht ein weiterer (kleinerer) Bestand zur (Deutschen) Zeitgeschichte der Weimarer Republik (mit Originalausgaben aus der Zwischenkriegszeit) und des «Dritten Reiches» (sowohl mit Originalausgaben aus den Jahren 1933 –1945, wie mit Nachkriegspublikationen u.a. zur Verfolgung der Juden, zum Widerstand, zur Kultur(politik) usw.

George-Kreis

Derzeit ca. 250 Bücher sind (Original-) Ausgaben des Dichters Stefan George und seines Kreises (u.a. Melchior Lechter, Edgar Salin, Karl Wolfskehl, Edith Landmann u.a.)

Prager Kreis

Ein weiterer Sammlungsteil umfasst einige hundert Publikationen pragerdeutscher, meist jüdischer Autoren («Prager Kreis») in Erst- und Originalausgaben. Eine entsprechende Namensliste (s.u. Reisen Prag) umfasst rund 50 Autoren.

Ein weiterer kleinerer Teil umfasst Publikationen russisch-jüdischer Autoren (in deutschen Übersetzungen), auch hier teilweise in Ausgaben der Zwischenkriegszeit (Malik Verlag), teils in Nachkriegsausgaben.

Sekundärliteratur

Zu allen Gebieten liegt meist recht umfangreiche Sekundärliteratur (meist in seit den 1960er Jahren publizierten Ausgaben) vor.

Literaturgeschichte

Zusätzliche kleinere Bestände sind – immer mit Blick auf die Zeit der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts verschiedenen «Randthemen» wie «Kabarett», «Kaffeehaus» «Literarischen Gesellschaften (Tukan, München)», Film und weiteren Gebieten sowohl in Ausgaben aus der «Zwischenkriegszeit» wie in späteren Publikationen gewidmet.

Literarische Reisen

Hinzu kommen die (meist aber nicht immer) neueren Bücher von Autoren und Orten der literarischen Reisen nach den Destinationen Sils Maria/Bergell, Davos, Ascona/Monte Vérita, Vilnius, Triest, Dresden, Prag, Meran/Bozen, Lemberg.

Varia

Weitere kleinere Bestände enthalten Bücher zu den Themen Philosophie (jüdischer Philosophen), Literaturgeschichte und -wissenschaft sowohl in Original- wie in Ausgaben der Nachkriegszeit.

Bibliothek des Schweizer Buchhandels

Unter dem Namen «Bibliothek des Schweizer Buchhandels» bildet die 1920 ins Leben gerufene Bibliothek des seinerzeitigen «Schweizerischen Buchhandlungsgehilfen- und Angestelltenvereins», später Angestelltenverband des Schweizer Buchhandels einen weiteren – selbständigen – Sammlungsteil. Diese 2003 von mir erworben und – meinen Möglichkeiten entsprechend – kontinuierlich weiter auf- und ausgebaut umfasst (mit den schon vor der Übernahme der «Bibliothek des SBGAVB bzw. ASB» zusammengetragenen Büchern) heute rund 8000 Bände darunter einige Zeitschriften zum Buch- und Buchhandelsgewerbe. Der Schwerpunkt dieses Sammlungsteils besteht aus Büchern zu den Themenbereichen Buchherstellung, Buchhandel, Buchgeschichte, Buchhandelsgeschichte, Verlagsgeschichte. Ein zusätzlicher Schwerpunkt bilden Verlagsalmanache und Verlagskataloge (Gesamtverzeichnisse) bedeutender Verlage vorwiegend des deutschen Sprachraums.

In dieser Sammlung deren Teilbestände miteinander in Beziehung stehen sind wohl Präferenzen des Sammlers erkennbar – es handelt sich hierbei nicht um eine «öffentliche» Bibliothek die gehalten ist «alles (aus einem/ihrem jeweiligen Gebiet)» zusammenzutragen.

Nicht zuletzt die Sammlungsteile Exil, die Bestände Hirschfeld, Lindtberg, und Katzenstein(-Sutro), sowie die «Bibliothek des Schweizer Buchhandels» können – da sie einerseits u.a. auch «Beziehungen» offenlegen, andererseits im Falle der «Bibliothek des Schweizer Buchhandels» die Entstehung über einen Zeitraum von inzwischen 100 Jahren nachvollziehen lassen – auch für Forschungsarbeiten von Bedeutung sein.

Derzeit sind die Bestände auf drei Standorte (Zürich, Kilchberg, Thalwil) verteilt:

In Zürich finden sich die Bestände der Deutschen Literatur und Teile der Bestände der Verlagssammlungen (Kurt Wolff, Weissbach, Cassirer, Kiepenheuer).

In Kilchberg ist die Bibliothek des Schweizer Buchhandels untergebracht.

Alle weiteren Bestände befinden sich am Standort Thalwil.

Dafür stehen in Kilchberg ca. 45 Quadratmeter in Thalwil ca. 90 Quadratmeter zur Verfügung. Der Platzbedarf um die gesamten Bestände «sinnvoll» aufzustellen beläuft sich derzeit auf 200 bis 300 Quadratmeter, wobei v.a. die Bibliothek des Schweizer Buchhandels am derzeitigen – allerdings inzwischen ebenfalls «knapp» bemessenen – Standort verbleiben könnte.

Die Bestände sind (mit Ausnahme von Teilen der Bibliothek des Schweizer Buchhandels) nicht katalogisiert. Für eine weitergehende (Be-) Nutzung wäre eine Erfassung der Bestände (auf einem elektronischen Datenträger) sinnvoll/notwendig.

Zur Entstehung der Sammlung 

Nach 1933 mussten meine Grosseltern mit ihren beiden Töchtern Deutschland verlassen und in die Schweiz kommen, der älteste Sohn konnte in der Zeit sein Studium in Amerika absolvieren. Mein Grossvater hatte die Schweiz nach dem Ende des ersten Weltkrieges in Richtung Frankfurt verlassen, wo er 1918 meine Grossmutter heiratete, die er,  bereits vor dem Krieg in Frankfurt tätig, kennen gelernt hatte.

Zweifellos hat die Biografie meiner Grosseltern und meiner Mutter mich motiviert, mich noch als Schüler mit der Geschichte des III. Reiches und später mehr und mehr mit der Literatur aus dieser Zeit zu beschäftigen. Während und nach meiner Ausbildung befasste ich mich zunehmend mit der Thematik und begann, Originalausgaben zu suchen und zu sammeln. Dabei ging es darum, Bücher zusammenzutragen, die im Mai 1933 zunächst verbrannt worden sind und von Autorinnen und Autoren, welche ab 1933 zunächst aus Deutschland, später aus vielen anderen Ländern Europas, zum Teil erneut, emigrieren mussten oder in den Vernichtungslagern der Nationalsozialisten umgekommen sind.

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Martin Dreyfus

Aufgewachsen in Basel, Ausbildung zum Sortiments-, später Verlagsbuchhändler, einige Berufsjahre in beiden Bereichen, parallele Tätigkeit als Lehrbeauftragter und Kursleiter. Weiterbildung in Erwachsenenbildung (SVEB) und Kulturmanagment (Stapferhaus Lenzburg/Uni Basel). Lebt als Sammler und «Bibliothekar» seiner zunehmenden Bestände in Zürich und arbeitet als freiberuflicher Lektor und literarischer Spaziergänger in Zürich, dem Engadin, Ascona, Davos, Meran/Bozen, Prag, Triest, Dresden, Vilnius, Lemberg und anderen Destinationen (s. unter «Reisen»). Publikationen und Beiträge v.a zu Else Lasker-Schüler, Walter Mehring (dessen Nachlass er «verwaltet»), den Kreis um Stefan George und zur Verlagsgeschichte im Exil (s.u.a. unter «Publikationen»). 2014 Ausstellung «Unsere kleine Stadt – Literatur in Rüschlikon» und «Kurt Hirschfeld» in Zürich, 2018 «Das Jüdische an Mr. Bloom» im Literaturmuseum Strauhof, Zürich, 2023 Verbotene Bücher, Stauhof Zürich, 2023 Frisch und Fein – Exil Zürich 1933, Galerie Litar, Zürich (s.u. «Ausstellungen»).


Die Bibliothek besuchen

Die Bibliothek bzw. deren Teile stehen Interessentinnen und Interessenten auf Anmeldung zum Besuch zur Verfügung. Um Terminvereinbarung wird ggbfs. per e-Mail gebeten:

mdreyfus@bluewin.ch